Lange Zeit war die Betrauung dauerdefizitärer Tätigkeiten der kommunalen Daseinsvorsorge der einzige Weg, um das beihilfenrechtliche Risiko in einen vertretbaren Bereich zu reduzieren. Für kleinere Kommunen könnte sich nun eine Alternative zur komplexen und aufwändigen „Betrauungslösung“ bieten. Denn mit Urteil vom 14.05.2019 bestätigt erstmalig ein europäisches Gericht den lokalen Ansatz der Europäischen Kommission. Lokale Beihilfen, so nämlich die Kommission, verletzen das Europäische Beihilfenrecht nicht. Ist den Kommunen damit nun endlich ein beihilferechtlicher Kompass an die Hand gegeben, der ihnen eine „Flucht in die Lokalität“ ermöglicht?
Häufig betreiben Kommunen Bäderbetriebe, Pflegeheime und Krankenhäuser in Eigenregie oder über kommunale Eigengesellschaften. In aller Regel bleiben diese Unternehmungen wirtschaftlich defizitär – nicht mangels wirtschaftlicher Expertise, sondern weil solche Leistungen oft nicht zu Marktpreisen erbracht werden können. Da sie aber für das Gemeinwohl als besonders wichtig angesehen werden, erfolgt ein Verlustausgleich aus kommunalen Mitteln. Gemeinwohlbezogene Leistungen können so in guter Qualität und zu sozialverträglichen Bedingungen angeboten werden.
Was die Kommunalbevölkerung erfreut, stört die Wettbewerbshüter aus Brüssel ganz empfindlich. Im Spannungsfeld zwischen Politik und Rechtskonformität müssen Kommunen sich der Herausforderung stellen, eine attraktive und zugleich beihilfenrechtskonforme Versorgung ihrer Einwohner zu gewährleisten. Das Mittel der Wahl ist in vielen Fällen die sog. Betrauung mit „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ (DawI).
Betrauen heißt verpflichten – und niemand verpflichtet sich gern
Betraut die Kommune ein Unternehmen damit, eine unwirtschaftliche Leistung anzubieten und gleicht sie die Defizite im Gegenzug aus, dann – so die etwas verallgemeinerte Annahme – liegt keine Begünstigung im Sinne von Art. 107 AEUV vor. Mit anderen Worten hat der Empfänger in Höhe der Deckungslücke keinen finanziellen Vorteil, weil er zum Wohle der Allgemeinheit mit einer verlustträchtigen Tätigkeit verpflichtet wurde. Diese Verpflichtung – in der Regel eine gesellschaftsrechtliche Weisung oder ein Verwaltungsakt der betrauenden Kommune – wird durch einen sog. Betrauungsakt begründet.
Der Betrauungsakt muss strengen Anforderungen gerecht werden, den sogenannten Altmark-Trans-Kriterien (benannt nach einer gleichnamigen EuGH-Entscheidung aus dem Jahr 2003). Aus diesem Grund ist der Betrauungsmechanismus höchst komplex und mit viel Aufwand verbunden. Auch in der laufenden Umsetzung verlangt er den betrauten Unternehmen einiges ab. So müssen sie die bilanziellen Vorgaben des Transparenzrichtlinien-Gesetz erfüllen, sie müssen turnusmäßig neu betrauen und selbstredend sind sie dazu verpflichtet, sich an die Vorgaben des Betrauungsaktes zu halten. Letztere können im Einzelfall ganz detailreich sein und der Kommune mehr oder weniger weitgehende Mitspracherechte verleihen – es sind schließlich ihre Gelder, die zum Ausgleich herangezogen werden. Gerade kleinere Kommunen belastet die Betrauung oftmals unverhältnismäßig schwer.
Flucht in die Lokalität: Die „Sieben Zwerge des Beihilfenrechts“
Die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO), in die viele Kommunen ihre Hoffnungen gelegt haben, konnte nur in Teilbereichen einen Ausweg bieten. Gerade für Bäderbetriebe ist es höchst unsicher, ob sie als sogenannte „Sportinfrastruktur“ anzusehen sind. Nur solchen ist der staatliche Ausgleich von Betriebskosten gestattet, nicht hingegen sogenannten „multifunktionalen Einrichtungen“. Ab wann ein Bäderbetrieb jedoch keine reinen Sportzwecke mehr verfolgt (Schwimmbahnen), sondern multifunktional ist (Erlebniskomponenten, wie Rutschen), ist nach aktueller Rechtslage kaum zu bewerten.
Ein weiterer Ausweg, der nun mit dem Urteil des EuG wieder in den Fokus rückt, ist die „Flucht in die Lokalität“. Der Grundgedanke ist folgender: Staatliche Förderungen für Unternehmen sind von vornherein keine Beihilfen im Sinne des Europäischen Beihilferechts, wenn sie den grenzüberschreitenden Wettbewerb nicht verzerren. Das Europäische Beihilfenrecht schützt nämlich den Binnenwettbewerb im Unionsgebiet und nicht die Chancengleichheit zwischen Unternehmen in einem einzigen Mitgliedstaat. Letzteres ist Aufgabe des jeweiligen Mitgliedstaates, nicht der Europäischen Union. Dass man in der Vergangenheit trotzdem häufig nicht „in die Lokalität geflüchtet“ ist, hat einen plausiblen Grund, denn: „How local is local?“.
Das scharfe Schwert des Beihilfenrechts und uneinige Schwertträger trieben zum Betrauungsakt
Als Folge der fortgeschrittenen wirtschaftlichen Integration in der Union ging der Europäische Gerichtshof bislang konsequenterweise davon aus, dass bei Vorliegen einer staatlichen Begünstigung ohne weiteres auch eine grenzüberschreitende Handelsbeeinträchtigung anzunehmen ist.
Die Europäische Kommission auf der anderen Seite beschäftigt sich jedoch nur äußerst ungern mit Kleinstvorhaben. Ihr Unbehagen äußerte sie schließlich am 29.04.2015, als sie durch Pressemitteilung bekannt gab, sieben angemeldete staatliche Maßnahmen zur Förderung lokaler Vorhaben nicht als beihilfenrechtswidrig anzusehen – die sogenannten „Sieben Zwerge“. Gemein ist den am 29.04.2015 erlassenen Beschlüssen, dass ihnen eine grenzüberschreitende Bedeutung versagt wurde. Indem die Kommission die dort angewandten Kriterien veröffentlichte (dazu unten), wollte sie den Mitgliedstaaten eine Orientierungshilfe an die Hand geben. Mit anderen Worten: Sie wollte fortan nicht mehr mit Kleinstvorhaben belästigt werden.
Nun war sie an der seinerzeitigen Rechtsunsicherheit aber nicht ganz schuldlos. Man erinnere sich an das Jahr 2001 und die seinerzeit umjubelte Entscheidung zum Freizeitbad Dorsten (N 258/00 – Freizeitbad Dorsten). Mangels grenzüberschreitender Wettbewerbsverzerrung verneinte die Kommission hier das Vorliegen einer Beihilfe, nur um 2011 für ein ähnlich ausgestattetes und grenznahes Freizeitbad in Kochel am See (SA.33045 – Kristall Bäder) wieder von ihrer Linie abzurücken: Es könnten ja, so die Kommission, ausländische Investoren abgeschreckt werden, in der Bundesrepublik ein Freizeitbad zu eröffnen.
Dieser Umstand und die rigide Linie des EuGH machten es in den meisten Fällen unvertretbar, im Vertrauen auf bloß „lokale Auswirkungen“ auf einen Betrauungsakt zu verzichten. Zu unsicher war die Rechtslage, zu gravierend die Sanktionen im „worst case“.
Die Kommune dankt: Das Europäische Gericht steigert die Rechtssicherheit
Nun bestätigte mit der Entscheidung vom 14.05.2019 (Rs. T-728/17) erstmalig ein europäisches Gericht den lokalen Ansatz der Europäischen Kommission. Inhaltlich beschäftigte sich das Gericht mit der staatlichen Finanzierung eines Hafens in Slowenien. In Anlehnung an die – schon aus der „Sieben Zwerge“-Mitteilung bekannten – Argumentationsführung der Kommission, kam das EuG zu dem Ergebnis, dass es sich um ein bloß lokales Vorhaben ohne Auswirkungen auf den Binnenmarkt handelt.
Zwar handelt es sich nur um (erstens) eine erste Entscheidung von (zweitens) einem dem EuGH nachgeordneten Gericht, das (drittens) auch auf den Einzelfallcharakter hinweist; das Urteil lässt jedoch zumindest eine erste Tendenz erkennen, wie europäische Gerichte zukünftig mit lokalen Sachverhalten umgehen könnten.
Heißt es nun endlich „Bye bye, Betrauungsakt?“
Zwar können Restrisiken nicht ausgeschlossen werden, denn weiterhin hängt die Binnenmarktrelevanz von lokalen Beihilfen stark vom Einzelfall ab. Gerade kleine Kommunen könnten jedoch ganz vorsichtig eine „Flucht in die Lokalität“ erwägen. Mit der Entscheidung des EuG im Rücken könnten die „Sieben-Zwerge“-Kriterien für sie durchaus eine rationale Alternative zum Betrauungsakt darstellen, jedenfalls im Verhältnis zum individuellen Restrisiko und dem im Einzelfall ersparten Auswand.
Die Prüfung der „Sieben-Zwerge“-Kriterien vollzieht sich grob in zwei Schritten:
1. Ist das begünstigte Unternehmen rein lokal tätig und zieht es keine ausländischen Nachfrager an? Hierzu könnten beispielsweise Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung oder kleine, grenzferne (Sport-)Schwimmbäder zählen. Da das Einzugsgebiet eines Anbieters im Einzelfall aber stark variieren kann, sollte stets eine individuelle Prüfung auf Grundlage empirischer Daten erfolgen.
2. Schafft die Begünstigung des Unternehmens Marktzutrittsschranken? Das bloß lokale Einzugsgebiet eines Unternehmens genügt nicht. Es muss auch ausgeschlossen werden, dass dessen Förderung geeignet ist, Wettbewerber oder Investoren aus anderen Mitgliedstaaten zu behindern. Bei dieser (wieder) stark einzelfallabhängigen Prüfung ist zu erarbeiten, welche Unternehmen in der Branche präsent sind und ob grenzüberschreitende Marktzutritt für jene Unternehmen attraktiv wären.
Insgesamt bleibt abzuwarten, ob und wann der EuGH die ersehnte Rechtssicherheit schaffen wird. Eine sorgfältig vorgenommene und protokollierte Marktanalyse vorausgesetzt, könnten die „Sieben-Zwerge“-Kriterien jedoch schon heute für viele kleinere Kommunen eine (wirtschaftlich) interessante Option sein. Entscheidend muss jedoch stets sein, dass der ersparte (Betrauungs-) Aufwand gegenüber den Restrisiken im Einzelfall überwiegt.
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