Die Corona-Krise ruft nach wie vor zahlreiche Störungen und Verzögerungen in der Lieferkette hervor. Bei der Bewältigung im eigenen Unternehmen sind Vorstand, Geschäftsführer und andere Fach- und Führungskräfte mehr denn je gefordert.
Hier lauern jedoch nicht unerhebliche Haftungsrisiken, die trotz der häufig gebotenen unternehmerischen Handlungseile nicht aus dem Blick verloren werden sollten.
Im Zentrum steht dabei die gesetzlich angeordnete Geschäftsführer- bzw. Vorstandshaftung, § 43 GmbHG bzw. § 93 AktG. Danach hat die Unternehmensleitung in allen Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Bei unternehmerischen Entscheidungen sind stets die Vermögensinteressen des Unternehmens zu wahren.
Für die Corona-Krise bedeutet das, dass die Verantwortlichen verpflichtet sind, alle ihnen zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um Schäden oder Nachteile, die dem eigenen Unternehmen infolge der Corona-Pandemie drohen, abzuwenden bzw. zu minimieren.
Die Liste an möglichen Pflichtverletzungen ist lang.
So kann es z.B. eine Pflichtverletzung darstellen, wenn der Geschäftsführer nicht oder nur unzureichend prüft, welche Ansprüche oder Rechte die Gesellschaft gegen Lieferanten und Abnehmer in der Lieferkette hat, wenn das dazu führt, dass ein Anspruch nicht oder nicht mehr rechtzeitig vor Forderungsausfall geltend gemacht werden kann. Reicht die eigene Sachkunde nicht aus, ist der Geschäftsführer verpflichtet, sich fachkundigen Rat Dritter einzuholen.
Eine Pflichtverletzung kommt auch in Betracht, wenn der Geschäftsführer mit Vertragspartnern in der Lieferkette ungünstige Vergleiche für das Unternehmen abschließt oder auf eine Forderung verzichtet, die in Wirklichkeit besteht, und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht.
Mit Blick auf die zukünftige Vertragsgestaltung kann es auch pflichtwidrig sein, wenn unwirksame Höhere Gewalt-Klauseln oder Haftungsbeschränkungen in den eigenen Verträgen (weiter-)verwendet werden oder die verwendeten Verträge und AGB nicht an die neuen Entwicklungen und Erkenntnisse der Corona-Krise angepasst werden, und der Gesellschaft in der Folge ein Schaden entsteht, der hätte verhindert werden können. Für die Zukunft dürfte deshalb eine Pflicht zur Anpassung der Bestandsverträge infrage kommen.
Im Falle eines Verstoßes drohen dem Geschäftsführer Schadensersatzansprüche durch die eigene Gesellschaft. Der Geschäftsführer haftet dabei nicht nur für die unmittelbaren Schäden beim eigenen Unternehmen, z.B. wenn er für die Gesellschaft anlässlich der Lieferengpässe einen unwirksamen Haftungsausschluss vereinbart hat. Die Gesellschaft kann ihre Organe darüber hinaus auch in Regress nehmen, wenn beispielsweise Dritte sie auf Schadensersatz in Anspruch nehmen.
Die Haftung erstreckt sich dabei nicht zwangsläufig nur auf die Geschäftsführung bzw. den Vorstand. Auch leitende Angestellte in der Lieferkette wie z.B. Vertriebsleiter können bei Verletzungen der Vermögensinteressen der Gesellschaft gegebenenfalls in Anspruch genommen werden (im Einzelfall kann die Haftung des Mitarbeiters aber über den so genannten innerbetrieblichen Schadensausgleich beschränkt sein).
Das Thema Geschäftsführerhaftung gewinnt zusätzlich deshalb an Brisanz, weil das deutsche Recht zur Organhaftung im Grundsatz von einer Beweislastumkehr ausgeht. Konkret bedeutet das, dass im Falle einer Inanspruchnahme nicht die Gesellschaft, sondern der in Anspruch genommene Geschäftsführer selbst beweisen muss, dass er alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, die ein vernünftiger Unternehmer nach sorgfältiger Abwägung im Einzelfall hätten vornehmen müssen, um das Vermögen der Gesellschaft in der Corona-Krise zu schützen.
Überdies kann sich der Geschäftsführer unter Umständen auch wegen Untreue strafbar machen, wenn er im Einzelfall gegen seine Vermögensbetreuungspflicht verstoßen hat, die gegenüber der Gesellschaft besteht.
Auf Grund dieser weitreichenden Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken ist der Geschäftsführer gut beraten, stets eine Risikoanalyse vorzunehmen und bei Bedarf geeignete Compliance-Lösungen zu finden.
Im Hinblick auf die eigenen Leistungs- und Lieferpflichten während und nach der Corona-Krise empfehlen sich vor allem folgende Compliance-Maßnahmen:
Überprüfen Sie in regelmäßigen Abständen die Ansprüche und Verpflichtungen der Gesellschaft in der Lieferkette. Die Auswirkungen der Corona-Krise am Markt sind dynamisch. Was gestern noch berechtigterweise verweigert werden durfte, kann schon heute eine Vertragsverletzung darstellen.
Akzeptieren Sie nicht einfach die eigene Inanspruchnahme durch einen Vertragspartner ohne vorherige Prüfung, ob der behauptete Anspruch auch tatsächlich besteht.
Schließen Sie nicht vorschnell Vergleiche mit Vertragspartnern ab. Der Verzicht in der Krisenzeit auf eine Leistung, auf die die Gesellschaft nach der geltenden Rechtslage einen Anspruch hat, kann zu einem haftungsträchtigen Vermögensschaden bei der Gesellschaft führen.
Prüfen Sie hier insbesondere auch den Umfang Ihres Versicherungsschutzes. Aktuell lässt sich bei vielen Versicherungen die Tendenz beobachten, sich bei Ihren Versicherungsnehmern vorsorglich freizuzeichnen, indem sie Vergleiche abschließen, in denen allenfalls ein Bruchteil der der Gesellschaft potentiell zustehenden Deckungssumme angeboten wird. In der Rechtsprechung ist jedoch noch nicht geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Betriebsausfall- oder sonstige Versicherung für Corona-Fälle eingreift.
Evaluieren Sie, soweit möglich, regelmäßig die Vermögenslage Ihrer Schuldner und ergreifen Sie rechtzeitig geeignete Maßnahmen, um einem Ausfall Ihres Anspruches entgegenzuwirken, spätestens, wenn sich eine Vermögensverschlechterung beim Schuldner abzeichnet. Je nach Einzelfall können sich z.B. Ratenzahlungsvereinbarungen in Verbindung mit einem abstrakten Schuldanerkenntnis oder Sicherungsabtretungen anbieten.
Dokumentieren Sie alle wichtigen Entscheidungen und getroffenen Maßnahmen als Nachweis darüber, dass Sie alle zumutbaren Maßnahmen für das Unternehmen ergriffen haben.
Überprüfen Sie Ihre Vertragsklauseln und AGB auf Wirksamkeit und eventuelle Vertragslücken, die sich im Zuge der Corona-Krise aufgetan haben. Zum Schutz des Gesellschaftsvermögens kann es je nach Lieferkette und Branche auch sachdienlich sein, neben einer Höhere Gewalt-Klausel weitere Sicherungsmechanismen wie Selbstbelieferungsvorbehalte, Haftungsausschlüsse oder -beschränkungen oder Vertragserfüllungs- oder Gewährleistungsbürgschaften in die zukünftigen Verträge mitaufzunehmen. Hier ist allerdings Vorsicht im Detail geboten: Zu der Frage, ob eine solche Klausel wirksam ist, existiert eine ausdifferenzierte Rechtsprechung je nach Formulierung.
Gern unterstützen wir Sie auch bei der weiteren Compliance-Umsetzung!
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