Im Corona-Jahr 2020 haben sich viele Gerichte mit der Frage befassen müssen, ob die staatlichen Schließungsanordnungen den gewerblichen Mieter zu Mietkürzungen berechtigen. Die meisten der angerufenen Gerichte haben hierbei bisher zu Ungunsten der Mieter entschieden.
Mit Wirkung zum 31.12.2020 hat der Gesetzgeber Art. 240 § 7 EGBGB neu eingeführt. Danach wird für vermietete Grundstücke und Gebäude, die in Folge von staatlichen Covid-19-Maßnahmen für den Betrieb nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Einschränkungen verwendbar sind, gesetzlich vermutet, dass sich mit der Nutzungsbeschränkung die Geschäftsgrundlage des Mietvertrages schwerwiegend verändert hat. Diese gesetzliche Vermutungsregelung öffnet für gewerbliche Mieter das Tor zu einem Anspruch gegen ihren Vermieter auf Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB (Änderung der Geschäftsgrundlage). Allerdings muss der Mieter weiterhin beweisen, dass die staatlichen Anordnungen bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar waren, dass die Mietvertragsparteien den Vertrag in diesem Fall nicht oder nur mit anderem Inhalt geschlossen hätten, und dass ein Festhalten am unveränderten Mietvertrag für den Mieter nicht zumutbar ist.
Mittlerweile sind auf der Grundlage der neuen Vermutungsregelung zwei erste Urteile ergangen.
Wer erwartet, dass die Rechtslage mit der Einführung des neuen Art. 240 § 7 EGBGB ja geklärt sein müsste, der irrt. Denn die Urteile hätten unterschiedlicher kaum ausfallen können.
OLG Dresden, Urteil vom 24.02.2021, Az. 5 U 1782/20
Das OLG Dresden hatte am vergangenen Mittwoch einen Mietprozess zu Gunsten der Textilkette „KiK“ entschieden, die die Miete für eines ihrer Ladengeschäfte in Sachsen für den Monat April 2020 einbehalten hatte, weil ihre Filiale während des ersten Lockdowns auf Grund einer Allgemeinverfügung des Landes Sachsen geschlossen gewesen war:
Da keine der Parteien die Schließung habe vorhersehen können, sei es nach Ansicht des Gerichts angemessen, die damit verbundene Belastung im Rahmen eines Anspruches des Mieters auf Anpassung des Mietvertrages wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen.
Das bedeutete in diesem Fall im Klartext: 50 % Mietreduktion der Kaltmiete für die Mieterin im Lockdown.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.02.2021, Az. 7 U 109/20
Völlig anders urteilte dagegen das OLG Karlsruhe am Ende eines Prozesses, der – ironischerweise – an demselben Tag mit derselben Mieterpartei geführt worden war.
Auch hier hatte KiK für den Monat April 2020 die Miete vollständig einbehalten, dieses Mal für eine ihrer Filialen in Baden-Württemberg.
Gleiche Ausgangskonstellation, gleiches Urteil?
Weit gefehlt. Das OLG entschied, dass es gewerblichen Mietern wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nur dann unzumutbar ist, den vollen Mietzins zu zahlen, wenn dies ihre Existenz vernichten oder ihr wirtschaftlichen Fortkommen zumindest schwerwiegend beeinträchtigen würde. Dafür müsste im Einzelfall geprüft werden, in welchem Ausmaß z.B. der Umsatz zurückgegangen ist, welche Möglichkeiten der Mieter zur Kompensation hatte (Onlinevertrieb, Außer-Haus bzw. Click and Collect), und ob ihm beispielsweise Kurzarbeitergeld und/oder staatliche Unterstützungshilfen zu Gute gekommen sind. Eine solche existenzielle Gefährdung sah das OLG Karlsruhe im Falle der Kette KiK wohl als nicht ausreichend dargelegt.
Beide Gerichte haben die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Im Falle des OLG Dresden hat der Vermieter die Einlegung der Revision gegenüber Pressevertretern bereits angekündigt.
Die höchstrichterliche Klärung dieser seit Monaten vordringlichen und höchst kontrovers diskutierten Frage, ob der Gewerberaummieter im Lockdown zur Mietkürzung berechtigt ist, wird daher wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Über die weitere Entwicklung halten wir Sie selbstverständlich auf dem Laufenden.
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