Nach der EU-Milliardenstrafe gegen mehrere LKW-Hersteller wegen unerlaubter Preisabsprachen können Geschäftskunden nun Schadenersatzansprüche geltend machen. Die am 9. Juni 2017 in Kraft getretene 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erleichtert zum Teil die Durchsetzung, es bleiben jedoch auch Rechtsunsicherheiten. Eine genaue Abwägung der Chancen und Risiken ist unbedingt zu empfehlen.
Als die Europäische Union Milliardenstrafen gegen mehrere LKW-Hersteller wegen unerlaubter Preisabsprachen verkündete, witterten manche „Glücksritter“ bereits das schnelle Geld. Zu einfach schien es, mit wenigen Schritten zu attraktiven Schadenersatzsummen zu gelangen. Doch sehr schnell zeigte sich: Um entsprechende Ansprüche tatsächlich durchzusetzen, braucht es juristische Expertise und Erfahrung.
Profitieren können Unternehmen, die zwischen 1997 und heute Lastwagen ab 7,5 Tonnen Nutzlast von MAN, Scania, Volvo/Renault, Daimler, IVECO und DAF gekauft oder geleast haben. Sie können nach unseren Schätzungen bis zu zehn Prozent des Preises als Schadenersatz erstattet verlangen. Die beiden zentralen Fragen sind dabei jedoch, (i) wie weit die neu geregelte Schadensvermutung des § 33a Abs. 2 S. 1 GWB zugunsten Geschädigter reicht und (ii) wie in punkto Verjährung mit Ansprüchen umzugehen ist, die vor dem 01.01.2002 entstanden sind.
Schadensvermutung sagt nichts über Schadenshöhe aus
In § 33a Abs. 2 S. 1 GWB heißt es lediglich: „Es wird widerleglich vermutet, dass ein Kartell einen Schaden verursacht.“ Diese Vermutung bezieht sich nur auf das Bestehen eines Schadens und dessen Verursachung durch den (Kartell-) Verstoß. Die Höhe des verursachten Schadens bleibt von der Vermutung unberührt und muss auch weiterhin dargelegt und ggf. bewiesen werden. Zudem besteht derzeit noch Rechtsunsicherheit, ob die neue Vermutungsregelung auch auf vor dem 26. Dezember 2016 entstandene Ansprüche angewendet werden kann. Es gibt juristische Argumente dafür und dagegen.
Zu beachten sind auch die Verjährungsfristen. Bei Ansprüchen, die vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind, muss zumindest vor dem 1. Januar 2018 gehandelt werden. Details und Besonderheiten eines jeden Einzelfalls sollten jedoch stets juristisch genau bewertet werden.
Was ist zu tun?
Unternehmen, die betroffen sind oder sein könnten, sollten zunächst Informationen sammeln. Intern gilt es, Belege zu sichten, beispielsweise Verträge, Bestellbestätigungen oder Rechnungen. Externe Informationsquellen können die Kartellanten selbst (insbesondere deutsche Tochtergesellschaften), aber auch Behörden (hier vor allem die Kommission) sowie weitere Geschädigte und auch Verbände sein.
Taktisch kann es sich aus Kostengründen ggf. anbieten, „Geschädigtengemeinschaften“ zu bilden, die beispielsweise gemeinsam Rechtsgutachten einholen und sich die anfallenden Kosten teilen. Des Weiteren kann es sich zur Kostenersparnis anbieten, die eigenen Schadensersatzansprüche neben anderen Geschädigten an eine zum Zwecke der Rechtsverfolgung gegründete Gesellschaft abzutreten, die diese Ansprüche sodann durchsetzt. Ggf. sollte auch angedacht werden, einen sog. Prozessfinanzierer einzuschalten, der sämtliche Kosten der Rechtsverfolgung gegen Zahlung einer Erfolgsbeteiligung übernimmt.
Im Sinne eines geringeren Prozess- und Kostenrisikos empfehlen wir allgemein, zunächst abzuwarten, bis es erste Gerichtsurteile zum „neuen“ Recht gibt. Bei Ansprüchen aus den Jahren 1997 und 1998, bei denen Verjährung droht, kann eine kurzfristige Klageerhebung sinnvoll sein. Dringend zu empfehlen ist jedoch eine Prüfung und Kosten-Nutzen-Abwägung, wie hoch etwaige Ansprüche im Vergleich zu den Rechtsverfolgungskosten wären.
Bei der Abwägung weiterer Schritte und einer Kosten-Nutzen-Analyse beraten wir Sie gern.
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