Was haben der kostenfreie Zugang zu Toiletten an Autobahnen und die Anerkennung der Gemeinnützigkeit von E-Sports gemeinsam? Beides steht im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD.
So kleinteilig und zum Teil doch sehr vage sind die Vereinbarungen, die die Unterhändler der Parteien auf 144 Seiten miteinander vereinbart haben. Wird auf der einen Seite sehr ins Detail gegangen, werden bei vielen interessanten Themen lediglich Eckpunkte skizziert. Und für alles im Koalitionsvertrag Vereinbarte gilt: Es steht unter Finanzierungsvorbehalt!
Olaf Braun, Partner bei EEP, hat sich pünktlich zur Wahl von Friedrich Merz zum neuen Bundeskanzler die Agenda der neuen Bundesregierung als Steuerberater und Unternehmer angesehen und fasst die wesentlichen steuerpolitischen Eckpunkte wie folgt zusammen:
Verantwortung für Deutschland – so lautet der Titel des Koalitionsvertrages für die 21. Legislaturperiode. Steuern, Abgaben und Bürokratie senken – Investitionen, Innovationen und Wettbewerb fördern, das ist der Tenor des Koalitionsvertrags der neuen Bundesregierung in Bezug auf Steuer- und Wirtschaftspolitik.
Der Koalitionsvertrag enthält viele sinnvolle Vorschläge, die bei Umsetzung einen Wachstumsimpuls auslösen können. Positiv überrascht, dass der Koalitionsvertrag auch den ein oder anderen betriebswirtschaftlichen Denkansatz enthält.
Der Bürokratieabbau steht über allem.
Die neue Bundesregierung verspricht, das Lieferkettensorgfaltsgesetz abzuschaffen und durch ein Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung zu ersetzen. So würde die Europäische Lieferkettenrichtlinie bürokratiearm und vollzugsfreundlich umgesetzt. Die Berichtspflichten nach dem bisherigen Lieferkettensorgfaltsgesetz sollen unmittelbar abgeschafft werden.
Auch die Einsicht der Europäischen Kommission, beim Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung möglicherweise über das Ziel hinaus geschossen zu haben, wird von der neuen Bundesregierung unterstützt. Entsprechend soll das Thema im Hinblick auf Umfang und zeitliche Anwendung überarbeitet werden. Die erst im Jahr 2020 eingeführte Bonpflicht soll wieder abgeschafft werden. Zahlreiche bestehende Statistikpflichten sollen ausgesetzt werden. Insgesamt verspricht die neue Bundesregierung die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 25 % zu reduzieren.
Gründer sollen es in Deutschland leichter haben. Dazu will die neue Bundesregierung die Einführung einer sogenannten Gründerschutzzone prüfen. Notarielle Vorgänge sollen vereinfacht und digitale Beurkundungsprozesse ermöglicht werden. Durch die Einführung eines automatischen Datenaustausches zwischen Notariat, Finanzamt und Gewerbeamt in Form eines One-Stop-Shops soll eine Unternehmensgründung innerhalb von 24 Stunden realisierbar werden.
Um digitale Verwaltung mit antragslosem Verfahren umsetzen zu können, sollen jeder Bürger und jede Bürgerin ein verpflichtendes Bürgerkonto und eine digitale Identität erhalten, mit der Identifikation, Authentifizierung und Zahlungen durchgeführt werden sollen. Für Unternehmen, Selbständige und Vereine sollen spezifische Zugänge geschaffen werden.
Das häufig gehörte Argument, das ginge wegen des Datenschutzes nicht, will die neue Bundesregierung durch eine Initiative auf europäischer Ebene versuchen zu lösen, in dem nicht-kommerzielle Tätigkeiten, kleine und mittelständische Unternehmen und risikoarme Datenverarbeitungen vom Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung ausgenommen werden.
Umfassende Steuerreform bleibt aus.
Die steuerpolitischen Maßnahmen beinhalten lediglich punktuelle Änderungen; auf eine große Steuerreform konnte sich die Koalition nicht verständigen.
Als eine der ersten Maßnahmen soll ein Investitions-Booster auf Investitionen in Form einer degressiven Abschreibung von 30 % in den Jahren 2025, 2026 und 2027 eingeführt werden. Abzuwarten bleibt hier sicherlich die konkrete Ausgestaltung, z.B. ob es eine nahtlose Fortführung der am 31.12.2024 ausgelaufenen bisherigen degressiven Abschreibung geben wird, oder ob es, wie im Wachstumschancengesetz 2024 der alten Bundesregierung vorgesehen, eine unterjährige Stichtagsregelung geben wird. Im Sinne des Bürokratieabbaus wäre ein Abstellen auf den 01.01.2025 sicherlich wünschenswert. Solange die konkrete Ausgestaltung noch unklar ist, sollte mit aufschiebbaren Investitionen gewartet werden.
Eine echte Unternehmensteuerreform hat sich die neue Bundesregierung nicht vorgenommen. Ab dem 01.01.2028 soll zwar die Körperschaftsteuer von derzeit 15 % in fünf Schritten um jeweils
1 %-Punkt auf dann 10 % ab dem 01.01.2032 gesenkt werden. Da der Solidaritätszuschlag und die Gewerbesteuer bestehen bleiben sollen, wird sich die Gesamtsteuerbelastung für Körperschaften in der Endausbaustufe im Jahr 2032 bei einem Gewerbesteuer-Hebesatz von 400 % auf rund 24,5 % (ggü. 29,8 % aktuell) belaufen. Zur Vermeidung von Missbrauch soll der Gewerbesteuer-Mindesthebesatz von aktuell 200 % auf 280 % erhöht werden. Zudem soll mit administrativen Maßnahmen gegen so genannte Scheinsitzverlegungen in Kommunen mit niedrigeren Hebesätzen vorgegangen werden.
Zur Verbesserung einer rechtsformneutralen Besteuerung sollen für Personengesellschaften die bisherigen Möglichkeiten des Optionsmodells (zur steuerlichen Behandlung wie eine Körperschaft) und die Regelungen zur begünstigten Besteuerung von thesaurierten Gewinnen verbessert werden.
Zur Förderung der Automobilindustrie sieht der Koalitionsvertrag Kaufanreize für E-Autos vor:
- Eine steuerliche Begünstigung von Dienstwagen durch eine Erhöhung der Bruttopreisgrenze bei der steuerlichen Förderung von E-Fahrzeugen auf 100.000 €
- Eine Sonderabschreibung für E-Fahrzeuge
- Kfz-Steuerbefreiung für E-Autos bis zum Jahr 2035
- Ein Programm für Haushalte mit kleinem und mittlerem Einkommen, um den Umstieg auf klimafreundliche Mobilität zu unterstützen
- Förderung für Plug-In-Hybride
Wie auch bei der Wiedereinführung der degressiven Abschreibung sollte mit aufschiebbaren Investitionen in diesem Bereich gewartet werden, bis die konkreten Regelungen vorliegen.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten, sollen Personen, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, einen Betrag bis zu 2.000 € pro Monat steuerfrei aus einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis verdienen dürfen. Überstundenzuschläge, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, sollen umgehend steuerfrei gestellt werden. Gleiches soll für Prämien zur Ausweitung der Arbeitszeit gelten. Hier sollten die konkreten Ausgestaltungen abgewartet werden, bevor derartige Maßnahmen angeschoben werden.
Neben der Erhöhung der Entfernungspauschale ab 01.01.2026 auf 38 Ct/km (aktuell 30 Ct/km für die ersten 20 km; 38 Ct/km ab dem 21. km), will die neue Bundesregierung Regelungen zur vereinfachten Besteuerung von Rentnern und Arbeitnehmern (z.B. durch Ansatz so genannter Arbeitstagepauschalen) einführen. Hier wird angestrebt, dass diese Gruppen von Erklärungspflichten so weit wie möglich entlastet werden.
Die am 31.12.2023 ausgelaufene temporäre Reduzierung der Umsatzsteuer auf Speisen in der Gastronomie von 19% auf 7% soll dauerhaft wieder eingeführt werden (Getränke unterliegen jedoch weiterhin wie bisher der Regelbesteuerung von 19%).
Als Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung dürfte neben der Stärkung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, der Aufrüstung der IT und der Einstellung von zusätzlichen Betriebsprüfern auch die schrittweise Einführung einer weiteren Zahlungsoption neben dem Bargeld sowie die verpflichtende Nutzung von Registrierkassen ab 01.01.2027 für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 100.000 € sein. Letzteres würde dann das endgültige Aus für die offene Ladenkasse bedeuten.
Gute Ansätze unter Finanzierungsvorbehalt
Der Koalitionsvertrag enthält viele gute Ansätze, insbesondere im Bereich der Digitalisierung und des Bürokratieabbaus, und skizziert einen modernen Staat, den es anzustreben gilt. Da jedoch alles unter dem Finanzierungsvorbehalt steht und alle Subventionen auf den Prüfstand gestellt werden, ist nicht auszuschließen, dass nur ein Bruchteil umgesetzt wird, bzw. althergebrachte begünstigende Regelungen zur Gegenfinanzierung abgeschafft werden.